Einer dieser Momente vor denen ich mich so gefürchtet habe.
Einer dieser Momente warum ich eigentlich keine Kinder haben wollte. Ich habe
ihn mir schlimm vorgestellt und es fühlt sich immer noch viel schlimmer an als
ich befürchtete. Diese Sekunde habe ich immer noch vor Augen.
Ich war gerade dabei etwas wegzuräumen, das Lämmchen ggf.
gefährlich hätte werden können. Und war diese eine Sekunde abgelenkt, die ich
gebraucht hätte, um Lämmchen all das Leid zu ersparen. Diese Sekunde des
Begreifens was gleich passiert, in der die Zeit kurz still zu stehen scheint
und dann geht plötzlich alles so schnell, dass ich es nicht mehr rechtzeitig
geschafft habe. Als ich mir Lämmchen schnappen konnte war es schon dran, ihr
Händchen am heißen Ofen meiner Mutter. Was würde ich dafür geben, wenn ich
diesen Moment hätte verhindern können. Aber es war zu spät. Lämmchen schrie. Ich
lief mit Lämmchen zum Waschbecken, um ihr Händchen unter kaltes Wasser halten
zu können. Lämmchen schrie. Ich versuchte klar zu bleiben. Lämmchen schrie. Es
fiel mir nicht leicht mit meiner hysterischen Mutter, die ihren halben
Speisekammerinhalt auf Lämmchens Wunde machen wollte und meiner Nichte, die die
Situation immer wieder grausam treffend analysierte. „Sie muss irrsinnige
Schmerzen haben.“ Dieser Satz, meine Gedanken, die Situation. Mein Herz schrie
mit Lämmchen vor Schmerz. Ich habe versucht alles richtig zu machen, einen
kühlen Kopf zu bewahren und Lämmchens Hand zu kühlen. Ich dachte ich mache
alles richtig.
Und dabei habe ich alles falsch gemacht.
Ich habe überwiegend Lämmchens falsches Händchen gekühlt.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Zum Glück hatte sich meine Mutter
wieder gefangen und übernahm nun das Kühlen der verletzten Hand. Lämmchen hörte
auf zu schreien. Und ich hatte das Gefühl ich muss zusammenbrechen. Eine
Sekunde Unachtsamkeit ist das eine, aber Lämmchens Leiden unzureichend
gelindert zu haben… Ich fand zwei, drei Minuten alleine. Ich musste kurz
heulen, ich musste diesen Druck abbauen und schnell wieder funktionieren.
Danach ging es etwas besser.
Wir riefen den Notarzt an. Er sagte uns was zu tun sei, viel
mehr könne er erst mal auch nicht machen. Lämmchen hatte mittlerweilen ein
Zäpfchen intus und planschte mit ihrem Händchen im kühlen Wasser teilweise
sogar vergnügt herum. Es ist erstaunlich wie gut sie mit diesen Schmerzen
umging. Mittlerweilen war mein Baby schon ziemlich übermüdet und jedes Mal,
wenn ich sie zu Bett bringen wollte bzw. mit ihr in mein Bett gehen wollte, bei
jedem liebevollen Beruhigungsprozedere, das sonst funktionierte, schrie sie als
hätte sie sich erneut verbrannt. Ich ging wieder kühlen und Lämmchen hatte
wieder gute Laune. Das ging mehrere Male so bis mir klar war, dass es nicht der
wieder aufflammende Schmerz war sondern dass meine Kleine nach dem Schock zu
traumatisiert war für das übliche Einschlafen. Nach einem Telefonat mit meinem
Freund, der ja nicht mit nach Österreich gekommen und in Köln geblieben war,
ging es mir selber zumindest etwas besser. Er hat so eine ruhige,
zuversichtliche Art und hat mir Kraft gegeben. Danach versuchte ich es mal ganz
anders. Kein Beruhigungs- und Einschlafprozedere. Ich setzte Lämmchen neben mir
ins Bett, ließ das Licht an und gab ihr, ganz pädagogisch wertvoll, mein Handy
zum Spielen. Sie hantiert gerne damit herum, befühlt es, klappt es auf, mag es
wenn das Display anspringt und die Musterkennung beim darüberwischen vibriert.
Sie war so vertieft in ihr Spiel, dass sie nicht merkte wie ich das Licht
abschaltete. Bald wurde sie immer ruhiger und irgendwann schlief sie ein, das Handy
im Arm und ein Händchen auf meiner Hand …
Lämmchens Nacht war dann einigermaßen erholsam, meine gar
nicht. Einerseits konnte ich kaum schlafen, weil sie auf jede meiner Bewegungen
es mir bequemer zu machen reagierte und andererseits … Lämmchens Schmerz war
anscheinend vorüber, meiner aber noch lange nicht.
Am nächsten Tag war meine Kleine beschämend gut gelaunt. Und
das mit einer Brandblase, fast so groß wie ihr halbes Händchen! Sie schien
keine Schmerzen zu haben und ich achtete nur darauf, dass sie die schützende
Brandblase nicht zu sehr belastete.
Mittlerweilen waren wir bei der Kinderärztin. Nach einigem
Abwägen haben wir uns entschlossen die Blase aufzustechen und zu verbinden.
Wenn sie unterwegs oder beim Rückflug aufgegangen wäre, wäre es schwierig alles
sicher und schnell zu versorgen. Und Lämmchen ständig vom Krabbeln abhalten zu
müssen war auch nicht so ganz das Wahre. Als es zur Sache ging mit dem
Aufstechen hielt ich Lämmchen fest und drehte mich weg, den Anblick konnte ich
nicht ertragen. Lämmchen heulte und ich befürchtete neues Leid. Aber es war nur
das Festhalten. Als Ärztin und Assistentin tatsächlich loslegten wurde meine
Kleine ganz still und schaute fasziniert zu was passierte.
Es tut mir so schrecklich weh, wenn ich daran denke, dass
Lämmchen solche Schmerzen erleiden musste. (Und es tut auch weh, wenn ich nicht
daran denke. Es erschöpft mich ständig.) So unnötig, so grausam. Dafür hat sie
das alles aber erstaunlich gut weggesteckt. Der Entwicklungsschub scheint
vorbei, das neueste Zähnchen ist raus und mit ihrer Verletzung scheint sie gut
gelaunt und ohne größere Probleme klar zu kommen. Jetzt bleibt nur zu hoffen,
dass alles gut verheilt.
Vor allem Lämmchens Händchen.
Aber auch mein Herz muss heilen. Und mein Selbstbewusstsein.
10 Monate war Lämmchen weder krank, noch hat sie sich nennenswert verletzt
(Blaue Flecken u.ä. mal ausgenommen). Das hat mir ein gutes Gefühl gegeben,
eine gewisse Leichtigkeit, Zuversicht und Stärke für das Kind. Und jetzt ist
all das weg. Ich habe das so sehr gebraucht, denn ich habe lange mit mir
gehadert ob ich ein Kind möchte, ob ich so etwas schaffe, ob ich mit dieser
Verantwortung und Verletzbarkeit klarkomme.
Aber was bleibt mir anderes über. Ich muss mir die Stärke und das
positive Gefühl wieder aufbauen. Und mir selbst verzeihen. Und aus meinen
Fehlern lernen. Für mein Lämmchen. Aber im Moment kämpfe ich noch. Mit diesem
Schmerz, mit dieser Schuld.
Euer erschüttertes schwarzes Mutterschaf
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